181 Hayır

hayırLiebe Zuhörerinnen, werte Zuhörer,
am 16. April 2017 werden in der Türkei ca. 55,3 Millionen Wahlberechtigte und fast 3 Millionen türkische Staatsbürger im Ausland über ein Referendum abstimmen, das den derzeitigen Präsidenten Erdogan faktisch zum Diktator machen soll. Das Referendum wird somit noch im Ausnahmezustand, der nach dem Putschversuch vom Juli 2016 verhängt worden war, stattfinden.

Da er selbst zu ahnen scheint, dass er hin und wieder sein Brüllvieh mit dem Volk verwechselt, wird unnachgiebig jeder gejagt, der auf der Straße für ein „hayır“, ein Nein, wirbt. „Der 16. April“, so Recep Tayyip Erdoğan, „wird die Antwort auf den 15. Juli sein.“
Die Konsequenz ist ersichtlich: „Diejenigen, die ‚Nein‘ sagen, stellen sich auf die Seite der Verschwörer des 15. Juli.“ Einer von Erdoğans Prosekutoren, Cevdet Kayafoğlu, droht indessen ganz explizit, dass jedes „Nein“ einer „Unterstützung der PKK“ gleichkäme – mit den entsprechenden juristischen Konsequenzen.

Diese Sendung basiert auf Texten von Elke Dangeleit und Mustafa Sönmez sowie dem Blog cosmoproletarian-solidarity.

180 Vodka-Cocktails

cocktail„Die historische Wissenschaft hat große Anstrengungen daran gewendet, die Vorgeschichte der Russischen Revolution, ihre Ereignisgeschichte im Ablauf des Jahres 1917 und schließlich die Konsequenzen der Revolution für die folgende Umformung Russlands zu erforschen und eingehend zu beschreiben.
Der gedruckte Ertrag dieser Arbeiten ist inzwischen fast unübersehbar geworden, und der Satz, wonach diese Revolution einen nicht wieder umkehrbaren Wendepunkt in der Geschichte Russlands markiert, bedarf längst keiner gelehrsamen Fußnote mehr.
Es versteht sich, daß hinter all diesen Bemühungen ein weitergehendes Interesse stand und steht, die Frage nämlich, wie dieser Wendepunkt russischer Geschichte in größere, über Russland hinausgreifende Zusammenhänge historisch einzuordnen sei.
Wer von den Begebenheiten nicht nur berichten, sondern zu Maßstäben und Urteilen kommen will, wird nach der Bedeutung dieser Revolution für die Weltgeschichte unserer Zeit zu fragen haben.
Das freilich ist ein weites Feld, und eine Antwort, derer man tatsächlich sicher bleiben dürfte, findet sich nicht leicht.“
Also sprach der Historiker Dietrich Geyer am 17. Oktober 1967 zum 50 Jahrestag der Russischen Revolution. Weitere 50 Jahre später lässt sich feststellen, dass dieser „Wendepunkt der russischen Geschichte“ alles andere als unumkehrbar und die „Bedeutung dieser Revolution für die Weltgeschichte“ dann möglicherweise doch geringer als erwartet / erhofft / befürchtet (Nichtzutreffendes bitte streichen) ist. Eine gewisse Ernüchterung hat sich eingestellt.

179 Come on

Gezi Direnişi - En özel fotoğraflar Quelle: Gezi Direnişi – En özel fotoğraflar

… während die bürgerliche Presse jedweder Schattierung behauptet, die Linke sei Schuld am Erfolg der Rechten, während sich das aufgeklärte Bürgertum den Kopf zermartert, was denn gegen den Populismus im allgemeinen zu tun sei, um den Faschismus im besonderen nicht erwähnen zu müssen, während das Feuilleton schier aus dem Häuschen ist, weil eine Biographie erläutert, dass die zu den Faschisten übergelaufenen Reste der französischen Arbeiterbewegung auch zu ihrer Hochzeit lebensweltlich nicht besonders fortschrittlich agiert haben, während der globale Wahnsinn sich an keiner Stelle auch nur einen Jota abmildert:
Stellen wir fest, dass es genau jetzt an der Zeit ist, auf die Reste emanzipatorischer Prinzipien zu bestehen, schlicht dem allgemeinen Wahnsinn, der allgegenwärtigen Regression eine Programmatik des Fortschritts, sowohl im technischen als auch gesellschaftlichen Sinne entgegenzustellen.

Wir brauchen in der Tat eine politische Intervention, deren Überschriften wir uns in den kommenden Sendungen widmen wollen.

Eine Intervention, die den moralischen Prinzipien des Atheismus, des Feminismus, des Kommunismus verpflichtet ist.

Eine derartige Programmatik müsste sich den Fragen der Ökonomie und damit der Kritik des kapitalistischen Verwertungsprinzips widmen, sie müsste sich mit gesellschaftspolitischen Fragen beschäftigen, von der Desavouierung des regionalistischen Hinterwäldlertums bis hin zu Forderungen nach und Definition von sozialem Fortschritt.

Sie müsste sich in aller Schärfe mit religiösem Aberglauben und Wahn auseinandersetzen und auf die Errungenschaften der Aufklärung pochen.

Sie müsste Ideologiekritik wieder in den Fokus politischer Auseinandersetzung rücken und sich gegen Antisemiten, Nationalisten und Ethnopluralisten von rechts bis links positionieren und sie müsste ihrer Organisation nach supranational verfasst sein, also die Einschränkungen nationaler und völkischer Politikkonzepte zurückweisen und diese organisierte und gegebenenfalls sich sogar als wählbar anbietende Intervention müsste gleichzeitig der Versuchung widerstehen, sich das aktuelle Potential an kritischem Bewusstsein schön zu reden oder herbei zu fantasieren.

Lars Quadfasel, Mitglied der Hamburger Studienbibliothek, hat in der Zeitschrift konkret kurz nach der Trump-Wahl in den USA die Hinter- und Beweggründe einer derartigen – nennen wir sie: Volksentscheidung erläutert. Die beschriebenen Grundprinzipien sind ohne Probleme auf andere Gesellschaften übertragbar. …

178 Überall: Season 3

Ab Januar 2017 werden wir im Rahmen unserer monatlichen Produktionen endlich die Folgen der vierten und letzten Staffel „Überall – DIE Radionovela“ senden. Um euch allen den Anschluss zu erleichtern – immerhin liegt die Ausstrahlung der vorhergehenden Staffeln doch schon etwas zurück – bringen wir in dieser Stunde 17grad eine Zusammenfassung der 1. und 2. sowie die komplette 3. Staffel zu Gehör. Ihr wisst ja: Dies ist ihre Geschichte, und so oder so ähnlich trägt sie sich zu. Täglich. Überall.

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177 Rede auf drei Stühlen

Zu Gast bei 17grad: Ale Dumbsky, Ex-Schlagzeuger der Goldenen Zitronen und Gründer des Hamburger Labels Buback Tonträger. Der „Militante mittleren Alters sitzt in Hamburg und hat hier seine ‚Rede auf drei Stühlen‘ entwickelt. Er kann sich in einem Vortrag von Max Stirner, HSV Alt-Hooligans, nervigen Kreativlingen, Ulrike Meinhof, der österreichischen Straßenverkehrsordnung, William S. Borroughs bis hin zu anonymen italienischen Insurrektionalisten hangeln, ohne dass es blöd auffällt.“

Wir haben nachgefragt: ist das wirklich so oder sind dem Verfasser des Klappentextes hier die Gäule durchgegangen?

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176 Graue Wölfe

Faşizme geçit yok!

Während einem beim Diskurs um die deutsche Leitkultur an allen Ecken das reaktionäre Milieu seiner Wortführer entgegenschlägt, gibt es auch eine nicht ganz so auf deutsche Tradition rekurrierende Variante der Identitätspolitik. Bei dieser, dem essentialistischen Ethnopluralismus, fällt die Verortung deutlich schwerer, denn hier tummelt sich sowohl links als auch rechts.

Wie wir in unseren letzten beiden Sendungen unserer dreiteiligen Reihe bereits berichteten, finden wir bei dieser politischen Denkrichtung neben identitären Faschisten auch sich links wähnende Critical Whiteness-Apologeten, neben paternalistischen grünbürgerlichen Exotikfans auch linksreaktionäre Kulturrelativisten. Allen ist gemeinsam, dass sie Kulturen – nicht mehr Rassen – einen von ihnen definierten Raum zuweisen wollen. Auch im geografischen Sinne.

Diese Weltsicht droht – nicht nur im Zuge der in Europa diskutierten Fluchtbewegungen – hegemonial zu werden. Sie ist dabei kein Ideologieprivileg deutscher Identitärer, sondern wird allerorten vertreten und befeuert.

Während vor wenigen Jahren in linken Milieus noch der kulturelle Wandel zwischen den Welten und Zuschreibungen verhandelt wurde, geht es heutzutage um Abgrenzung, um Ausgrenzung, um Begrenzung. Dass die Preisgabe des emanzipatorischen Diskurses über die Abschaffung identitärer Konzepte dabei auf das Wohlwollen organisierter Faschisten trifft, ist nicht verwunderlich. Verwunderlich ist eher, dass die sich abzeichnende ideologische Melange auf Basis des Ethnopluralismus nicht schärfer kritisiert wird. Zumindest von Gruppen, die es besser wissen müssten.

175 Reise ins Ich

hochsauerlandAm 17. Oktober 2015 fand in Hamburg die große 25-Jahr-Feier von 17grad statt. Die Veranstaltung – als Gala-Event erster Kajüte geplant – war unterirdisch schlecht besucht.
Dieser Sachverhalt hat der Redaktion schwer zu denken gegeben und dazu bewogen, ein Jahr später mal in Ruhe und intensiv über das Medienprojekt 17grad nachzudenken. Begleiten Sie uns also heute auf einer Reise ins Ich – nach Stockum-Sundern im Hochsauerland.

174 Identität und Wahn

Good Night White Pride2012 noch war die so genannte Identitäre Bewegung (kurz IB) vor allem ein Internetphänomen. Die schwarz-gelben Ortsgruppen sprossen in den sozialen Netzwerken wie Pilze aus dem Boden. Im Vergleich mit den Verbündeten aus Frankreich und Österreich erschien die IB Deutschland allerdings lange Zeit marginal. Ihr alternatives Auftreten, geprägt von der Adaption linker Subkultur (Flashmobs, Mobilisierungs-Videos, Aufkleber) jedoch fiel auf. Die Süddeutsche Zeitung nannte sie den „popkulturellen Arm der Rechtsextremen“, die Welt bezeichnete sie jüngst als „rechte Hipster“.
Doch das Auftreten der Identitären Bewegung Deutschlands hat sich verändert. Ihre Aktionen werden expliziter. Immer öfter trauen sie sich mit aggressivem Aktionismus aus ihrer virtuellen Komfortzone auf die Straße heraus.

173 Jüdische Braugeschichte

„Bier ist der Wein dieses Landes. Jüdische Braugeschichten“ ist eine Ausstellung des Jüdischen Museums in München zur Geschichte und Gegenwart des Bieres in der jüdischen Tradition und Kultur. Aus diesem Anlass hören Sie heute Beiträge zu Bier in der jüdischen Religion, zum Zusammenhang zwischen Brauerstern und Davidstern, zu Hermann Schüleins Umgang mit der NS-Raubpolitik und zur israelischen Craft-Bier-Szene. Die Musik kommt von The Burning Hell – und damit ist nicht die Biersorte gemeint. Prost! und Le Chaim!

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172 Safe Spaces

Safe SpacesDie aktuelle konservative Revolution berauscht sich an sich selbst. Die Protagonisten scheinen fast überwältigt von den eigenen Möglichkeiten, von der auch für sie überraschenden Wirkmächtigkeit. Überall und allenthalben werden jene angeblich hegemonialen gesellschaftlichen Machtverhältnisse alt- und neulinker Provenienz entdeckt, die es ihnen zu bekämpfen, zu schleifen, zu enttabuisieren gilt.
Endlich aufräumen mit der Political Correctness, endlich Schluss machen mit emanzipatorischen Grundstrukturen, seien diese wiederum noch so elendig, albern oder bigott.
Der moderne Konservativismus in seinem antiaufklärerischen Furor beklagt die Post-68er-Dekaden, jammert über moderne Pädagogik, will alles, was man für Gutmenschentum hält, hinwegfegen, strebt eine Abkehr von egalitären gesellschaftspolitischen Konzepten und Entwürfen an.
Man wurde – so geht die Historien- und Gegenwartsbeschreibung – von Linken im allgemeinen mit idiotischen Gesellschaftsvorstellungen drangsaliert, in seiner kollektiven und individuellen Entwicklung gehemmt und damit einer Gesinnungsdiktatur ausgesetzt, die die Kategorien von Fortschritt und Reaktion schlicht auf den Kopf gestellt habe.
Und in der Tat muten ja einige Beschreibungen angeblich aktueller Diskurse recht ulkig an, sie schreien förmlich nach adäquater Polemik. Ist diese dann noch unterhaltsam formuliert, können sich vor Lachen schon mal die Balken biegen.
Die Zeitung „Die Welt“ beispielsweise machte vor kurzem ein vermeintlich neues, zunächst an US-amerikanischen Universitäten stattfindendes, diskursives Schlachtfeld aus: die Debatte um die so genannten Safe Spaces, also Rückzugsräume für Gruppen, die sich ausgegrenzt und unterdrückt wähnen und dies auch als kollektives und gegebenenfalls konstituierendes Moment diskutieren.