161 Fluchtsplitter

Herzlich willkommen, liebe Hörerinnen und Hörer, zu einer neuen Sendung der Redaktion 17grad.
Nach Auskunft des Leiters der Grenzstation Beregsurany, Ungarn, ist die Zusammenarbeit mit der Bevölkerung ausgezeichnet. Man treffe sich regelmäßig mit den Bürgermeistern der Region. Die Bürger würden informiert und seien bereit mitzuhelfen, illegale Grenzübertritte zu ahnden. Da diese Gegend Jagdregion sei, seien zur Saison manche Gebiete völlig durch die Nachtsichtgeräte der Jäger abgedeckt.
Sie hören heute Splitter und Schlaglichter von Flucht- und Migrationsgeschichten. Diese Geschichten sind Teil der Ausstellung „When there is hope“, die im Rahmen der Phototriennale Hamburg 2015 gezeigt wird.

stacheldraht

160 Feiertage

China SpringfestivalLiebe Zuhörerinnen und Zuhörer, gegebenenfalls haben Sie es noch gar nicht mitbekommen: am 20. Juni gedenken die Deutschen fortan jedes Jahr der, wie das Bundesministerium des Inneren schreibt, „weltweiten Opfer von Flucht und Vertreibung und insbesondere der deutschen Vertriebenen“. Weiter erklärt die deutsche Bundesregierung, dass sie mit diesem Datum an den Weltflüchtlingstag der Vereinten Nationen anknüpfen und das Flüchtlingsgedenken um das Schicksal der Vertriebenen erweitern will.
Im Sinne eines aufgeklärten Geschichtsrevisionismus erwähnen die Verantwortlichen natürlich den Holocaust, wenn sie ihn auch nicht so benennen. Der 2. Weltkrieg ist laut BMI sehr wohl von Deutschland ausgegangen und die Juden landeten am Ende im Vernichtungslager. Aber, wieder Zitat: „Auch Millionen Deutsche mussten schließlich aufgrund von Flucht, Vertreibung, Zwangsumsiedlung und Deportation ihre angestammte Heimat verlassen.“
Und während wir in der Redaktion noch darüber nachdachten, wie wir dieses offensichtliche geschichtliche Patt gebührend begehen könnten, fiel uns ein interessantes Büchlein aus dem Verbrecher Verlag in die Hände, das uns dabei half, die generelle Funktion derartiger Gedenktage zu verstehen und uns gleichzeitig davor bewahrte, uns weiter mit diesem, nennen wir es vorsichtig: eigenwilligen deutschen Geschichtsverständnis auseinandersetzen zu müssen.
In dem empfehlenswerten Band „Umkämpfte Vergangenheiten – Die Kultur der Erinnerung im postjugoslawischen Raum“ schreibt der Regensburger Professor für Geschichte Südost- und Osteuropas, Ulf Brunnbauer, im Vorwort:

159 Prävention

Diese Sendung wird sich eben so wenig mit Impfungen, Schwangerschaftsverhütung oder Rückenschule beschäftigen, wie mit Deichbau, Mediation und Zahnpflege. Zum wiederholten Male werden wir nicht sprechen über Zoophilie und Ailurophobie; ebenfalls nicht ins Programm geschafft haben es die vielversprechenden Themenkomplexe Deodorant, Antitranspirant und Molluskizide. Zu unserem größten Bedauern wird es uns auch nicht möglich sein, näher auf die zunehmend auftretenden Fälle von Xanthophobie einzugehen, auch wenn wir angesichts der jüngsten Wahlerfolge der FDP in Hamburg und Bremen einen Erklärungsansatz parat hätten. Hören Sie heute allerlei Wissenswertes über Kriminalpräventionsmaßnahmen wie Abschreckung, Nachbarschaftsstreifen, Videoüberwachung, Computeranalyse, Gefährderansprache und Gefahrengebiete.

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158 Hyperfiction

HyperfictionDas Internet eröffnet einen Freiraum für poetische Experimente jenseits von kanonischen Begrenzungen.
Hyperfiction nennt sich denn die neue Literatur, die diese Möglichkeiten der digitalen Medien auszuprobieren gewillt ist. Ihr Kernstück sind die Hyperlinks. Mit einem Mausklick auf ein beliebiges, vorab definiertes Zeichen lässt sich flugs ein neuer Text aufrufen und auf dem Bildschirm einblenden. Es ist, als ob eine Seite umgeblättert würde, doch die sprunghafte Beweglichkeit der Hyperlinks verleiht dem Text die Gestalt einer vielschichtig gewobenen Textur.

Offene Textstrukturen sind nichts Neues in der Literaturgeschichte. Seit langem schon experimentiert die Avantgarde mit Formen der literarischen Sprengung. „Ecriture automatique“, konkrete Poesie (Max Bense), Cortazars Rayuela-Roman sind Beispiele dafür, wie lineare Erzählmuster und Textstrukturen aufgebrochen werden können.

Mit dem digitalen Code erhalten diese Experimente freilich eine neue Qualität. Der Text wächst nicht mehr kontinuierlich, sondern wuchert in alle Richtungen über die Zeilen und Seiten hinaus. Hyperlinks legen auseinanderstrebende narrative Pfade durch ein Textkorpus und ermöglichen, ja provozieren so alternative Lesarten. Die Lektüre wird dynamisch. Und sie wird gestisch. Lesende oder Klickende suchen sich einen je eigenen Weg, um ans „Ende“ ihres Textes zu gelangen, das heißt, sie lesen sich je unterschiedliche Geschichten zusammen aus einem verwirrenden Sample von Texten, die untergründig durch sich verzweigende und wieder vereinigende Pfade zusammengehalten werden. Im Prozess dieser springenden, volatilen Lesart weicht die „akribische“ der „anekdotischen“ Lektüre, wie es Roland Barthes avant la lettre genannt hat. Je raffinierter die Hyperlinks gesetzt sind, desto vielfältigere Lesarten werden möglich. Je mehr unwillkürliche Wiederholungen sich ergeben, desto langweiliger liest sich eine Hyperfiction….

Image: © Cem Czerwionke

157 Streik

Diese Sendung beschäftigt sich ebensowenig mit Sitz-, Schüler- oder Gebärstreiks, Hunger-, Steuer- und Verbraucherstreiks, wie mit Liebesentzug und Beischlafverweigerung.
Wir sprechen auch nicht über die Rührei-Theorie und die Mohawk-Valley-Formel.
Ebenfalls nicht ins Programm geschafft hat es leider der Pyramidenfacharbeiterstreik vom 4. November 1159 vor unserer Zeitrechnung in Theben/West.
Zu unserem größten Bedauern wird es uns auch nicht möglich sein, näher auf den Angriff der Bundesregierung auf die Tarifautonomie und damit einen der größten Angriffe auf die Arbeiterbewegung in diesem Jahrhundert einzugehen, weshalb wir diesen Umstand jedoch zumindest ausdrücklich hier an prominenter Stelle erwähnt wissen wollen.
Freuen Sie sich jedoch auf eine Stunde Kampf statt Kokolores.

DerStreik

156 Körperwerte

Allmorgendlich tragen viele von uns, die gezwungen sind einer Lohnarbeit nachzugehen, ihre Haut zu Markte – und häufig leider nicht einmal allzu teuer. Doch nicht nur der arbeitende Mensch wird einer Verwertungslogik unterworfen, ebenso sein Körper. Machen sie sich mit uns auf in die bunte Welt der Organmärkte, der Versicherungswerte, der abgesägten Finger und geraubten Nieren. Wir laden sie ein auf eine Butterfahrt der Eingeweide und schlendern mit ihnen über den Pharmaziestrich.

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155 Dschihad 2

Foto: Bundesarchiv, Deutsche Truppen in SyrienNachdem wir in der ersten Folge unseres Zweiteilers darüber berichtet haben, wie das deutsche Kaiserreich im Zuge des Ersten Weltkriegs gemeinsam mit der Türkei mehrere hundert Millionen Muslime zum so genannten Heiligen Krieg gegen Engländer und Franzosen aufrief, wollen wir Ihnen, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, heute einen Überblick über die deutschen Dschihad-Aktivitäten in anderen arabischen und asiatischen Staaten geben.

Foto: Bundesarchiv, Deutsche Truppen in Syrien

154 Dschihad

deutsche PickelhaubeFür das Jahr 2014 – Sie wissen das – befürchteten wir anlässlich des 100. Jahrestages des Beginns des 1. Weltkriegs das Schlimmste: Umtriebige Autoren, Experten, Analysten und Dokumentarfilmer, die uns in einer kollektiven Knoppisierung der deutschen Kriegsgeschichte das Hirn zerbröseln wollten. Nun stellen wir gänzlich uneitel fest: wir haben Recht behalten. Und doch ist ein interessanter Aspekt der großen Weltenschlacht, wie AfD und die anderen Verteidiger des Abendlandes den WK I nennen würden, bisher gänzlich außer Acht gelassen worden. Das Deutsche Kaiserreich rief gemeinsam mit der Türkei mehrere hundert Millionen Muslime zum „Heiligen Krieg“ gegen Engländer und Franzosen auf

153 Sprache revisited

„Wer nicht selbst deutsch gelernt hat, kann sich keine Vorstellung davon machen, was das für eine verzwickte Sprache ist. Es gibt gewiß keine andere Sprache auf der Welt, die so systemlos ist, so schlüpfrig und aalglatt, um sie zu fassen. Man treibt darin umher wie in einem brandenden Meer, bald hierhin, bald dorthin, in der elendesten Hilflosigkeit.“
Die Redaktion 17grad freut sich zusammen mit Ihnen auf die langerwartete und mit der Welturaufführung der zweiten Folge der dritten Staffel unseres Blockbusters „Überall – DIE Radionovela“ aufgepimpte Wiederholung unseres allzeit aktuellen kritischen Beitrags zum Thema „Sprache“.

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152 Prostitution ist …

Prostitution„Prostitution ist nur ein besonderer Ausdruck der allgemeinen Prostitution des Arbeiters“. Dieses Zitat von Marx könnte suggerieren, dass Prostitution für unsere Hörerinnen und Hörer eine recht klare Sache ist. Stattdessen hat sie sich als wahre Herausforderung erwiesen – und die Positionen Linker erstrecken sich von der Befürwortung von Repression und Abschaffung auf der einen Seite zur Entkriminalisierung und gewerkschaftlichen Organisierung auf der anderen Seite.

Das Quellmaterial finden Sie unter „Puritanische Philantropie und Prostitutionsfeindschaft“ und „Marxismus versus Moralismus