165 Uniform

Vor 200 Jahren wurde in Jena die Urburschenschaft gegründet.
Vor 130 Jahren wurde in Metzingen der Textilunternehmer Hugo Ferdinand Boss geboren.
Vor 115 Jahren wurde die South African Constabulary gegründet.
Vor 60 Jahren wurde die Bundeswehr gegründet.
Vor 30 Jahren starb der Künstler und Porzellanmaler Karl Diebitsch.
Seit 10 Jahren tritt die Hamburger Polizei einheitlich in Dunkelblau auf.

Im weitesten Sinn ist die Uniform eine Amts-, Zunft- oder Diensttracht, also gleichförmige Kleidung für eine standesmäßig abgegrenzte Gruppe von Menschen.

schuetzenfest

164 Flucht

Flucht

Liebe Mitmenschen, wir rieben uns in den letzten Wochen und Monaten dann doch die Augen, glaubten unseren Ohren nicht mehr uneingeschränkt und diskutierten darauf hin – durchaus kontrovers – Einschätzungen dessen, was sich da und dort vor unseren Wahrnehmungsorganen abspielte. Denn natürlich lässt es auch uns, die Münchner Redaktion der 17grad, nicht kalt,

  • wenn am hiesigen Hauptbahnhof Tausende von Menschen aus Kriegsgebieten anlanden,
  • wenn diese ausnahmsweise nicht zügig in Abschiebehaft genommen oder anders drangsaliert werden.
  • wenn verwaltungstechnische Abläufe nicht mehr greifen
  • wenn sich spontan Hilfe Leistende organisieren, um die Ankommenden mit dem unter Umständen Nötigsten zu versorgen
  • wenn der örtliche sozialdemokratische Oberbürgermeister herbei eilt, um Hilfe an- und Lob aufzubieten.

 

Gleichzeitig kommt man natürlich auch ein wenig ins Grübeln und ist, mal mehr, mal weniger irritiert

  • wenn den Ankommenden applaudiert wird, als hätten sie am Halbmarathon der Bayerischen Versicherungen teilgenommen
  • wenn sich Antifa und Polizei gegenseitig für die gute Zusammenarbeit loben, die ersten gar glauben, die zweiten könnten sich ein Nichtkooperieren auf Grund des Drucks aus der Bevölkerung gar nicht leisten
  • wenn ausgerechnet die nicht eben als links geltende Zeitung „Die Welt“ den Druck der deutschen Bundeskanzlerin auf die Länder an den EU-Außengrenzen thematisiert und vor einem deutschen Gutmenschen-Imperialismus warnt, gleichzeitig auf die Verantwortung Deutschlands für die Dublin-Verträge hinweist
  • wenn ausgerechnet die nicht eben als links geltende Zeitung „FAZ“ die klügsten Fragen zu Motivation und Perspektive aller Beteiligten stellt
  • wenn sich der Münchner Hauptbahnhof in einen Exotenmarkt verwandelt, auf dem paarungswillige deutsche Single-Frauen mittleren Alters nach männlichen Objekten der Begierde Ausschau halten, für die sie normalerweise in die Karibik fliegen müssen.


163 Willkommen in Deutschland

Applaudierende Menschen am Münchner Hauptbahnhof, engagierte Kulturschaffende an den Hamburger Messehallen, allerorten Friede, Freude, Eierkuchen: Sie hören heute unseren Beitrag zum Thema „Willkommenskultur“, eine leider nur unvollständige Chronik des Jahres 2015.

willkommen

162 Geld

GeldnotenGWG-Strich, das woll’n wir nicht! Diese Quintessenz antikapitalistischer Wertkritik in Verbindung mit den Ausführungen von Karl Marx zum Fetisch des Geldes, so meinten wir bisher, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, müsste als ideologisches Rüstzeug ausreichen, um das kapitalistische System kritisieren und im besten Fall bekämpfen zu können. Mehr und mehr kommen wir allerdings zu der Überzeugung, dass wir uns, um eine derartige Handlungsperspektive zu erarbeiten, auch mit dem Ding, mit dem Fetisch an sich beschäftigen müssen. Eine quasi materielle Ergänzung der materialistisch zu führenden Debatte also. Folgen Sie uns in den kommenden 60 Minuten zu dem Material des Äquivalents, in die Geschichte und Gegenwart des Geldscheins an sich, nicht für sich.

161 Fluchtsplitter

Herzlich willkommen, liebe Hörerinnen und Hörer, zu einer neuen Sendung der Redaktion 17grad.
Nach Auskunft des Leiters der Grenzstation Beregsurany, Ungarn, ist die Zusammenarbeit mit der Bevölkerung ausgezeichnet. Man treffe sich regelmäßig mit den Bürgermeistern der Region. Die Bürger würden informiert und seien bereit mitzuhelfen, illegale Grenzübertritte zu ahnden. Da diese Gegend Jagdregion sei, seien zur Saison manche Gebiete völlig durch die Nachtsichtgeräte der Jäger abgedeckt.
Sie hören heute Splitter und Schlaglichter von Flucht- und Migrationsgeschichten. Diese Geschichten sind Teil der Ausstellung „When there is hope“, die im Rahmen der Phototriennale Hamburg 2015 gezeigt wird.

stacheldraht

160 Feiertage

China SpringfestivalLiebe Zuhörerinnen und Zuhörer, gegebenenfalls haben Sie es noch gar nicht mitbekommen: am 20. Juni gedenken die Deutschen fortan jedes Jahr der, wie das Bundesministerium des Inneren schreibt, „weltweiten Opfer von Flucht und Vertreibung und insbesondere der deutschen Vertriebenen“. Weiter erklärt die deutsche Bundesregierung, dass sie mit diesem Datum an den Weltflüchtlingstag der Vereinten Nationen anknüpfen und das Flüchtlingsgedenken um das Schicksal der Vertriebenen erweitern will.
Im Sinne eines aufgeklärten Geschichtsrevisionismus erwähnen die Verantwortlichen natürlich den Holocaust, wenn sie ihn auch nicht so benennen. Der 2. Weltkrieg ist laut BMI sehr wohl von Deutschland ausgegangen und die Juden landeten am Ende im Vernichtungslager. Aber, wieder Zitat: „Auch Millionen Deutsche mussten schließlich aufgrund von Flucht, Vertreibung, Zwangsumsiedlung und Deportation ihre angestammte Heimat verlassen.“
Und während wir in der Redaktion noch darüber nachdachten, wie wir dieses offensichtliche geschichtliche Patt gebührend begehen könnten, fiel uns ein interessantes Büchlein aus dem Verbrecher Verlag in die Hände, das uns dabei half, die generelle Funktion derartiger Gedenktage zu verstehen und uns gleichzeitig davor bewahrte, uns weiter mit diesem, nennen wir es vorsichtig: eigenwilligen deutschen Geschichtsverständnis auseinandersetzen zu müssen.
In dem empfehlenswerten Band „Umkämpfte Vergangenheiten – Die Kultur der Erinnerung im postjugoslawischen Raum“ schreibt der Regensburger Professor für Geschichte Südost- und Osteuropas, Ulf Brunnbauer, im Vorwort:

159 Prävention

Diese Sendung wird sich eben so wenig mit Impfungen, Schwangerschaftsverhütung oder Rückenschule beschäftigen, wie mit Deichbau, Mediation und Zahnpflege. Zum wiederholten Male werden wir nicht sprechen über Zoophilie und Ailurophobie; ebenfalls nicht ins Programm geschafft haben es die vielversprechenden Themenkomplexe Deodorant, Antitranspirant und Molluskizide. Zu unserem größten Bedauern wird es uns auch nicht möglich sein, näher auf die zunehmend auftretenden Fälle von Xanthophobie einzugehen, auch wenn wir angesichts der jüngsten Wahlerfolge der FDP in Hamburg und Bremen einen Erklärungsansatz parat hätten. Hören Sie heute allerlei Wissenswertes über Kriminalpräventionsmaßnahmen wie Abschreckung, Nachbarschaftsstreifen, Videoüberwachung, Computeranalyse, Gefährderansprache und Gefahrengebiete.

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158 Hyperfiction

HyperfictionDas Internet eröffnet einen Freiraum für poetische Experimente jenseits von kanonischen Begrenzungen.
Hyperfiction nennt sich denn die neue Literatur, die diese Möglichkeiten der digitalen Medien auszuprobieren gewillt ist. Ihr Kernstück sind die Hyperlinks. Mit einem Mausklick auf ein beliebiges, vorab definiertes Zeichen lässt sich flugs ein neuer Text aufrufen und auf dem Bildschirm einblenden. Es ist, als ob eine Seite umgeblättert würde, doch die sprunghafte Beweglichkeit der Hyperlinks verleiht dem Text die Gestalt einer vielschichtig gewobenen Textur.

Offene Textstrukturen sind nichts Neues in der Literaturgeschichte. Seit langem schon experimentiert die Avantgarde mit Formen der literarischen Sprengung. „Ecriture automatique“, konkrete Poesie (Max Bense), Cortazars Rayuela-Roman sind Beispiele dafür, wie lineare Erzählmuster und Textstrukturen aufgebrochen werden können.

Mit dem digitalen Code erhalten diese Experimente freilich eine neue Qualität. Der Text wächst nicht mehr kontinuierlich, sondern wuchert in alle Richtungen über die Zeilen und Seiten hinaus. Hyperlinks legen auseinanderstrebende narrative Pfade durch ein Textkorpus und ermöglichen, ja provozieren so alternative Lesarten. Die Lektüre wird dynamisch. Und sie wird gestisch. Lesende oder Klickende suchen sich einen je eigenen Weg, um ans „Ende“ ihres Textes zu gelangen, das heißt, sie lesen sich je unterschiedliche Geschichten zusammen aus einem verwirrenden Sample von Texten, die untergründig durch sich verzweigende und wieder vereinigende Pfade zusammengehalten werden. Im Prozess dieser springenden, volatilen Lesart weicht die „akribische“ der „anekdotischen“ Lektüre, wie es Roland Barthes avant la lettre genannt hat. Je raffinierter die Hyperlinks gesetzt sind, desto vielfältigere Lesarten werden möglich. Je mehr unwillkürliche Wiederholungen sich ergeben, desto langweiliger liest sich eine Hyperfiction….

Image: © Cem Czerwionke

157 Streik

Diese Sendung beschäftigt sich ebensowenig mit Sitz-, Schüler- oder Gebärstreiks, Hunger-, Steuer- und Verbraucherstreiks, wie mit Liebesentzug und Beischlafverweigerung.
Wir sprechen auch nicht über die Rührei-Theorie und die Mohawk-Valley-Formel.
Ebenfalls nicht ins Programm geschafft hat es leider der Pyramidenfacharbeiterstreik vom 4. November 1159 vor unserer Zeitrechnung in Theben/West.
Zu unserem größten Bedauern wird es uns auch nicht möglich sein, näher auf den Angriff der Bundesregierung auf die Tarifautonomie und damit einen der größten Angriffe auf die Arbeiterbewegung in diesem Jahrhundert einzugehen, weshalb wir diesen Umstand jedoch zumindest ausdrücklich hier an prominenter Stelle erwähnt wissen wollen.
Freuen Sie sich jedoch auf eine Stunde Kampf statt Kokolores.

DerStreik

156 Körperwerte

Allmorgendlich tragen viele von uns, die gezwungen sind einer Lohnarbeit nachzugehen, ihre Haut zu Markte – und häufig leider nicht einmal allzu teuer. Doch nicht nur der arbeitende Mensch wird einer Verwertungslogik unterworfen, ebenso sein Körper. Machen sie sich mit uns auf in die bunte Welt der Organmärkte, der Versicherungswerte, der abgesägten Finger und geraubten Nieren. Wir laden sie ein auf eine Butterfahrt der Eingeweide und schlendern mit ihnen über den Pharmaziestrich.

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