125 Veteranentag

Liebe Freundinnen und Freunde! Liebe Angehörige! Sehr verehrter Herr Staatssekretär! Kameraden!

Ein Aufschrei der Entrüstung ging durch die Gesellschaft, als Herr Verteidigungsminister Thomas de Maizière Anfang des Jahres seinen Plan zur Einführung eines Veteranentages in Deutschland der Öffentlichkeit präsentierte. Kopfschüttelnd nahmen wir die ablehnenden Kommentare zur Kenntnis, welche ihm aus der Medienlandschaft entgegenschallten.
Ein Veteranentag passe nicht nach Deutschland, hieß es. Von unangemessenem Pomp war die Rede, das Gespenst einer remilitarisierten Gesellschaft wurde beschworen und der Begriff „künstlich aufgepfropft“ fiel.

Wir hingegen, Interessengemeinschaft Veteranentag in Deutschland IVID, unterstützen den Vorschlag des Herrn Verteidigungsministers, wir unterstützen ihn vehement … aber nicht vorbehaltlos.

Hier sind unsere Forderungen.

Und verpassen Sie auf gar keinen Fall die erste Folge der zweiten Staffel von Überall – DIE Radionovela.

124 EM

Willkommen, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, zu einer neuen Folge von 51° – Der Sendung rund um den Ball. Ja, ihr habt richtig gehört: dank der Unterstützung durch unsere Gastredaktion aus der Hauptstadt der ewigen Zweitligisten ist 17° heute dreimal so gut. Und dreimal so schnell: während die anderen ihre EM erst in den nächsten Wochen abhalten, dreht sich bei uns bereits heute alles um das runde Leder.

Ein Feuilletonist der Süddeutschen Zeitung sinnierte einmal, das Bedürfnis nach einer Einheit von Zeit, Ort und Handlung sei in früheren Epochen etwa von Gladiatorenkämpfen oder dem klassischen griechischen Drama erfüllt worden. Heute hingegen spiele der Fußball diese Rolle, und dass sei auch der Grund für seine enorme und ungebrochene Popularität.

Die teilweise unbändig anmutenden Emotionen, die sich bei nationalen und internationalen Fußballereignissen entladen und sich etwa in martialischen sogenannten „Schlachtgesängen“ manifestieren (allen voran das deutsche „Sieg!“) zeugen tatsächlich von solch archaischen Emotionen. Verhindert das
Fußballspiel, dass diese in Krieg oder andere Formen der gewaltsamen Auseinandersetzung umschlagen? Ist das Fußballspiel also eine zivilisatorische Errungenschaft, Teil eines cultural engeneering, das – wenn auch oft vergeblich – versucht, solche Gefühle zu kanalisieren?

Liebe Zuhörerin, lieber Zuhörer: bleibe am Apparat.

123 Buchmesse

Buchmessen, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, sind eine aufregende Sache. Selbst wenn man gar nicht vor Ort ist, weil einem das bildungsbürgerliche Gewusel auf den Keks geht oder die Hotelzimmerpreise nicht zur aktuellen Einnahmesituation passen.

Im Vorfeld derartiger Veranstaltungen gibt es eine Fülle von Literaturbeilagen in der Tagespresse, das Feuilleton überschlägt sich mit Lobpreisungen und Verrissen, Auszeichnungen werden vergeben, überall wird das Hohelied des Buchdrucks gesungen, kurzum: die schreibende Zunft wirkt immer ein bisschen aufgeregt und wir nutzen die Gelegenheit, ob der zweifellosen Vielfalt der präsentierten Lesevorschläge einen Blick in unsere häuslichen und umfangreich bestückten Ikea-Regale zu werfen und uns zu fragen, ob man nicht das ein oder andere Exemplar holzhaltiger Bedruckstoffe entsorgen sollte. Wie eigentlich jedes Jahr landen die besonders schlecht formulierten, langweiligen oder gar ärgerlichen Bücher natürlich nicht im Müllcontainer. Sie wandern einer unerklärlichen Gewissensentscheidung folgend in die Abstellkammer, die nie benutzte Flohmarktkiste oder, dem Unfug der Tauschringe nicht unähnlich, im Treppenhaus mit dem Hinweis „zu verschenken“.

Es gibt natürlich auch Werke, die man zwar zunächst aus ihrer angestammten Umgebung reißt, nur um sie dann wieder vorsichtig zurückzustellen, ein fast lautloses „nein, Du nicht“ auf den Lippen. Meistens hat man vorher einen kurzen Blick hineingeworfen und festgestellt, dass man sich a) kaum an den Inhalt erinnert und deshalb eigentlich sofort genau dieses Buch erneut lesen müsste, oder b) sowieso noch nie reingeschaut hat, obwohl Maike vor sechs Jahren beim Geburtstagsessen eine so engagierte Widmung in den Umschlag gekritzelt hat.

So, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, erging es uns anlässlich der gerade zu Ende gegangen Buchmesse. Wir stöberten also in diesem und in jenem Wälzer, rieben uns manchmal verwundert die Augen, welche Perlen des Wahnsinns sich in unserem Besitz befanden, um ein andermal erfreut unser noch immer einziges Lieblingsbuch herauszuziehen und genüsslich Zitat an Zitat zu reihen.

An diesem für uns wahrlich erhebenden Schauspiel wollen wir Sie nun teilhaben lassen, ergänzt um die Standardformulierungen der Rezensionsindustrie, denn: so oder so ähnlich trägt es sich zu. Täglich. Überall.

Kultur des Widerstands

Auszüge aus einem Vortrag von Thomas Ebermann zum Thema „Kultur des Widerstands – Vergegenwärtigung deutscher Täterschaft und Gedenken“ vom 24. Januar 2012 im Rahmen der Hamburger Ringvorlesung „Vergegenwärtigung von Erinnerung – Fragen und Antworten zum Gedenken an die Opfer der NS-Herrschaft“.

122 Erinnerungskultur

Nachdem man den Ruf der Überlebenden des Holocaust nach 1945 geflissentlich überhört hatte, nachdem sie verstummten und erst Ende der 60er, Anfang der 70erJahre eine leise Bereitschaft in Teilen der deutschen Gesellschaft bestand, zuzuhören und sie anzuregen, über ihre persönlichen Schicksale zu berichten, erst da bekam das Grauen und Morden durch die persönlichen Berichte der Opfer ein vages Gesicht und die unermesslichen Zahlen der Massenmorde wurden zu konkreten Namen.

Wie sieht Gedenken an den Holocaust heute aus? Wie wird er bestimmt und von wem wie gedeutet? Gibt es siebzig Jahre nach der Wannseekonferenz, die den Massenmord, der ja schon längst stattfand, vortrefflich zu lenken und verwalten verstand, eine Deutungshoheit und wenn ja, wer bestimmt den Diskurs? Wird der Genozid, nach dem die letzten Zeitzeugen verschwunden sein werden, einfach eingereiht in die deutsche Geschichte, die ja nicht gerade arm an Massenabschlachtung ist? Oder anders gefragt, wie wird das millionenfache Morden dieses mit am besten dokumentierten und erforschten Völkermordes seinen Platz in der deutschen Geschichte einnehmen? Wie werden die Stehlen und Stolpersteine sich neben den zahlreichen Schlachtendenkmälern behaupten?


Wenn man beispielsweise Herrn Reich-Ranicki im Bundestag sieht, diesen kleinen gebeugten alten Mann, flankiert von den höchsten Repräsentanten des Staates, dreißig bis vierzig Jahre jüngeren großgewachsenen Deutschen, auch dann stellt sich die Frage nach der Deutungshoheit in der Zukunft. Welchen Stellenwert wird diese große bewegende Rede in der Geschichte der Bundesrepublik einnehmen? Welchen Platz bekommt dieses Zeugnis?

Mit dieser und ähnlichen Fragen beschäftigte sich die Ringvorlesung „Vergegenwärtigung von Erinnerung – Fragen und Antworten zum Gedenken an die Opfer der NS-Herrschaft“, welche in den vergangenen Monaten an der Uni Hamburg stattgefunden hat.
17grad traf sich mit Janne Delin, einer der Initiatorinnen dieser Ringvorlesung.

121 Wirtschaft

Die Krise des Kapitalismus und gängige Erklärungs- u. Deutungsansätze.

Verehrte Zuhörerinnen und Zuhörer,

die Krise geht auch an unserem Magazin nicht spurlos vorüber. Vor lauter Prognosen und Erklärungen zu vergangenen, jetzigen und zukünftigen Wirtschaftsthemen wird einem ja manchmal ganz schummrig. Kaum hat man sich mit Begriffen wir Credit Default Swaps und Derivaten angefreundet, kaum hat man die gängigen Erläuterungsmuster für Immobilienblasen und Bankenkrisen zumindest grob verstanden, da sind wir schon wieder im nächsten Schlamassel: die Aussichten sind trübe, das Wort Rezession geistert durch die Gazetten, von der Euro-Krise ganz zu schweigen.

Als Dienstleistungsradio für die systemkritische Mittelschicht wollen wir uns in der heutigen Sendung mit den momentan häufig kolportierten Erklärungs- und Deutungsmustern des kapitalistischen Ist-Zustandes in Deutschland und Europa beschäftigen. Denn bei allem medialen Tahouwabou gibt es doch täglich wiederkehrende Topoi, die – egal ob durch TV-Börsenentertainerin, Kabarettist oder Tageszeitungspraktikant – immer wieder an die Kunden gebracht werden.

Und weil dieses Thema von einiger wenn nicht gar essentieller Bedeutung ist, haben wir uns dafür heute einen Experten ins Studio eingeladen, der uns bei der Interpretation der Interpretationen behilflich sein soll.

120 Ein Titel sagt mehr als 100 Überschriften

Jahresendzeit ist Wunschzeit, auch bei der Hamburger Redaktion 17grad.
Nach langem internem Austausch von nicht erfüllbaren Wünschen wie „Gerechtes Grundeinkommen für alle“, „Bezahlbarer Wohnraum“, „Zauberformel, um das braune Gedankengut aus den deutschen Hirnen zu pusten“ usw., half nur noch das eine oder andere Bier.
Aber warum etwas Neues erfinden, fragten wir uns schließlich und griffen beherzt auf bewährte Sendeformate zurück.
Nicht „Deutschland sucht den Superstar“, sondern „17grad sucht die talentiertesten Nachwuchsstars für die Bretter, die die Welt bedeuten“.
Dabei herausgekommen ist ein echter Kracher:
Mit Hilfe von über 100 Buchautorinnen und -autoren gutenbergten wir einen bewegenden Prosatext, zimmerten daraus ein wegweisendes Bühnenstück zusammen und führten dieses sodann als Singspiel urauf.

Hören Sie heute „Ein Titel sagt mehr als 100 Überschriften“.

Denn: Wünsche sind Wünsche zum Wünschen … Gänsebraten frisst Wackelpeter … und nun Zeit für neues Bier.

119 Kalender

Es ist nicht ungewöhnlich, dass sich im akademischen Betrieb die Diskussion über und die Analyse von popkulturellen Phänomenen findet:
Sei es im Bereich der Kommunikationswissenschaften die Beschäftigung mit den gesellschaftlichen Implikationen von Buffy the Vampire Slayer,
sei es die medientheoretische Aufarbeitung diverser Star Trek-Reihen,
sei es die universitäre Debatte über Unterscheidungen und Schnittmengen der kulturtheoretischen Begriffe Subkultur und Mainstream.

An der Ludwig-Maximilian-Universität in München hat nun vor wenigen Wochen ein Kurs der vergleichenden Literaturwissenschaften begonnen, in dem sich unter anderem mit der Radionovella Überall der Redaktion 17grad beschäftigt wird.
Der verantwortliche Lehrstuhlinhaber Prof. Dr. Murke geht darin sowohl auf Grundmuster und Hintergründe der gerade als DVD-Edition erschienenen Hörspielreihe ein, erläutert darüber hinaus allerdings auch Aspekte und Interpretationen, die gegebenenfalls auf den ersten Blick bzw, beim ersten Hören nicht aufgefallen sind.
Für die heutige Sendung hat uns Prof. Dr. Murke das Script seiner ersten Vorlesung zur Verfügung gestellt, aus dem wir in der folgenden Stunde zitieren wollen.

118 Griechenland

Zahlmeister Deutschland – Schuldenknecht Griechenland.
So oder ähnlich klingt das gegenwärtige Narrativ über das Verhältnis der beiden Länder.
Im Zusammenhang mit gänzlich anderen Schulden verhandelte vom 12. bis 16. September 2011 der Internationale Gerichtshof in Den Haag über eine Klage Deutschlands, die zum Ziel hat, Entschädigungsansprüche von griechischen und italienischen NS-Opfern auszuhebeln.
Daher richten auch wir unsere Aufmerksamkeit heute auf Griechenland.
Wir sprachen mit einem Mitglied des AK Distomo, der als Rechtsanwalt einen der Betroffenen des Massakers von Distomo vertritt.
Er war als Beobachter bei den Verhandlungen in Den Haag dabei und wird darüber berichten.
Dieser Prozess ist nicht nur für alle Opfer von NS-Verbrechen von großer Bedeutung, er wird auch Auswirkungen auf Schadensersatzansprüche von Überlebenden heutiger Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschheit haben.

117 Sterne

Werte Zuhörerinnen und Zuhörer,

dass das kapitalistische Prinzip sich weltweit durchgesetzt hat, ist, das wissen Sie, monokausal nicht zu erklären. Genauso wenig wie weiland der Siegeszug des Videoformats VHS, obwohl es doch mit betamax ein wesentlich leistungsfähigeres gab. Oder: nehmen Sie die ebenfalls komplexe Welt der PC-Betriebssysteme, ein vielleicht noch näher liegendes Beispiel, wie irrational ab und an die Welt tickt. Quasi seit Jahrzehnten beherrscht mit Windows das schlechteste aller Operation Systems den Markt. Und das schlimmste: jetzt wo diese Welt etwas durcheinander gerät, zeichnet sich ja nicht etwa eine fundamentale Verbesserung ab, sondern mit Google erscheint die nächste monopolistische Grausamkeit am Horizont.
Aber zurück zum großen Ganzen. Wie soll unsereins mit dem alltäglich Wahnsinn, der ja nicht nur ein ökonomischer ist, umgehen, ohne depressiv, verrückt oder gänzlich lethargisch zu werden? Diese Frage bestimmt – Sie können es sich vorstellen – die Redaktionssitzungen im hübscher Regelmäßigkeit. „Prosa“ schallte es da beim letzten Zusammentreffen durch unsere üppigen Büroräume und nach dem ersten ungläubigen Staunen raunte eine andere Ecke des Think Tanks „Cortazar“ und niemand anderes.
Julio Florencio Cortazar, Neofantast, ein bisschen Surrealist, Konsument filterloser Zigaretten und Anhänger der kubanischen Revolution, erschuf im Jahr 1942, neun Jahre bevor er ins französische Exil ging, die Ihnen im Folgenden vorgetragene Geschichte „Die Sternenputzer“. Lehnen Sie sich zurück und schließen Sie die Augen. Aber bitte: vermeiden Sie das Blinzeln zwischendurch. Sie werden merken, warum.